Ralf Rottmann Angel Investor & Retired Founder. Passionate about the Internet, the social effects of new technology, net politics and digital culture. Prolight & Sound enthusiast. Mastodon · Threads · Threema · LinkedIn · Home 🇩🇪

Drei Wochen mit Threads: Es wird!

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Threads Ralf Rottmann

Beim RedaktionsNetzwerk Deutschland beschreibt Matthias Schwarzer seine persönlichen Erfahrungen nach zweiwöchiger Nutzung des Social Media Dienstes Threads. Er erntet dafür unter anderem von Sascha Pallenberg Kritik:

“Ich habe mal ein wenig umfangreicher ausgeholt und mich tatsaechlich noch zurueckgehalten, denn einen Kurznachrichtendienst mit dutzenden Postings im Feed mit einer Plattform wie TikTok zu vergleichen, die dir immer nur ein Content-Piece ausspielen kann… ich denke da faengt bzw. hoert es mit dem Plattform/Algo-Verstaendnis auf.”

Sascha Pallenberg

Es stellt sich heraus, dass Schwarzer Threads ausschließlich passiv genutzt hat. Tatsache ist aber, dass textbasierte Social Media Plattformen aus der Interaktion lernen. Dazu gehören natürlich die Verweildauer auf einzelnen Posts beim Lesen und auch Likes. Insbesondere aber lernen die Algorithmen aus den eigenen Beiträgen und Kommentaren. Aus Unterhaltungen eben. Letztere hatte Schwarzer aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Artikels gar nicht geführt. Im Gegenteil, er hat Threads fast ausschließlich zur Linkvermarktung seiner eigenen YouTube Inhalte genutzt.

Richtig ist, dass man Threads mit den “Werkseinstellungen” seine Instagram Herkunft anmerkt.

Das ist auch nicht verwunderlich, sondern logische Konsequenz der Onboarding-Strategie. Es wimmelt im via Algorithmus bereitgestellten “For You” Feed anfänglich geradezu von Multi-Level Marketing Nahrungsergänzungsmittel-Verkäufern, selbsternannten Coaches und Finanzgurus. Und ja, man begegnet auch jeder Menge OnlyFans Damen auf Akquise-Tour und Menschen, deren einziger Lebensinhalt aus dem Besuch des Gyms zu bestehen scheint.

Sascha Lobo kommentierte dies treffend:

Threads an Insta angeschlossen ist ein bisschen, als würde man im Club erwartungsfroh zu den wirklich attraktiven Leuten rübergehen. Und dann hört man, was sie sagen.

Sascha Lobo

Der Kulturschock für ältere Semester, zu denen auch ich mich zähle, ist zunächst groß. Auch als twitter-Veteran wird man anfänglich enttäuscht. Er bietet aber auch einen ungefilterten (no pun intended) Einblick in die Lebensrealität eines Teils der Gesellschaft, den ich schon alleine deswegen horizonterweiternd finde, weil ich ihn bislang so nicht auf dem Radar hatte.

Ich selber bin Threads im Juli 2023 beigetreten, als das Netzwerk noch weniger als 10 Millionen Nutzer hatte. Dann konnte ich es aufgrund meiner EU-Zugehörigkeit nicht aktiv nutzen und bin jetzt wieder seit gut drei Wochen dabei.

Meine Erfahrungen decken sich mit dem von Matthias Schwarzer attestierten “Fiebertraum” in keiner Weise.

Mein Verhalten folgte konsequent den folgenden Regeln:

  • Alles was mich nicht interessiert aber auch nicht stört wird auf der Account-Ebene gemutet. Schwarzer merkte an, dass Meta ihm in bösartiger Absicht Inhalte von Accounts weiterhin in den Feed stellt, obwohl er diese gemuted habe. Es stellt sich heraus, dass er den Unterschied vom Beiträge stummschalten versus Nutzer stummschalten nicht realisiert hatte.
  • Rechte Inhalte, Hate Speech, fremden- und menschenfeindliche Beiträge, Homophobie etc. werden gemeldet und blockiert. Dabei ist mir das Melden vor dem Blockieren besonders wichtig um aktiv gegen die Reichweite solcher Accounts zu wirken.
  • Beiträge die mich interessieren oder inspirieren like und reposte ich. Achtung: Zurzeit spült man auch Beiträge die man nur liked in den Feed seiner eigenen Follower.
  • Beiträge zu denen ich etwas beitragen möchte, kommentiere ich. Meine Erfahrung: Keines der Signale neben Muten und Blockieren wirkt so stark, wie das aktive Kommentieren.
  • Die Automatik, mit denen ich meinen Instagram-Kontakten folge, wenn diese ihr Threads Konto aktivieren, habe ich ausgeschaltet.
  • Abgeschaltet habe ich auch, dass meine Threads Beiträge auf Instagram angezeigt werden.
  • Stattdessen suche und folge ich Menschen, die auch in der Vergangenheit auf anderen Netzen verläßlich qualitätsgesicherte Beiträge geleistet haben und folge diesen.

Mit diesen klaren Signalen ist mein “For You” Feed in der dritten Woche fast so gut, wie twitter zu seinen besten Zeiten. Er umfasst eine gesunde Mischung aus netzpolitischen Meinungen, aktuellen News und Themen, die das Nerd-Herz in mir ansprechen.

Selbst aus der Kohorte der eher langweiligen – weil inflationären – “Instagram-Influencern” habe ich einige wenige Menschen entdeckt, die deutlich mehr anzubieten haben, als filter-weichgespülte Hintern in hautengen Leggings.

Ganz ehrlich: Ich bin mir nicht sicher, ob der twitter Algorithmus in der Anfangszeit nach so kurzer Trainingsphase bereits so gut darin war, mir für mich relevante Inhalte auszuliefern.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich stelle die Erfahrungen, die Matthias Schwarzer aufgeschrieben hat, nicht infrage. Ich ordne sie ein. Sie ist eine persönliche Momentaufnahme nach einer sehr kurzen und sehr eingeschränkten Nutzungsphase. Es gibt andere Nutzer, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und solche wie mich, für die Threads bisher wunderbar funktioniert.

Zu einer ausgewogenen Berichterstattung gehört es aber eben auch, nicht einfach nur mit Schmutz zu werfen, weil sich das vielleicht ein bisschen besser klickt, sondern die Recherche ergebnisoffen zu führen.

Immer wieder wird auch der Vergleich zu Bluesky gezogen, der aber auf vielen Ebenen hinkt. Bluesky befindet sich mit seinen ca. 3 Millionen Nutzern in einer Nische. Darüber hinaus sorgt der Invite-only Modus bereits an der Eingangstür für eine Vorselektion. Rein darf nur, wer jemanden kennt, der schon drinnen ist oder sonst irgendwo erfolgreich um einen Code bettelt. Dass es diese Codes inzwischen im Überfluss gibt, ändert nichts daran, dass der Eingang bewacht wird. Offen ist die Plattform nicht.

Wer sich gerne in Gated Communities eine eigene Echokammer aufbaut, fühlt sich bei Bluesky wohl und darin liegt wohl auch die zentrale Berechtigung für den Dienst. Die einst heißbegehrten Invite-Codes will bereits niemand mehr haben. Die Bluesky Strategen haben ihren Tipping-Point verpasst.

Eine ganze Menge redaktioneller und technischer Probleme hält sich Bluesky alleine durch seine Türpolitik (noch) vom Hals. Ob die bislang in weiten Teilen nur theoretisch formulierten Konzepte bei einer echten Öffnung wirksam werden, steht in den Sternen.

Alles in allem erleben wir wieder spannende Zeiten im Social Media Universum. Und das ist ausnahmslos gut so.

Wenn du mir folgen möchtest, findest du mich auf Threads hier.

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