Ralf Rottmann Angel Investor & Retired Founder. Passionate about the Internet, the social effects of new technology, net politics and digital culture. Prolight & Sound enthusiast. Mastodon · Threads · Threema · LinkedIn · Home 🇩🇪

Wer Menschen mag, muss Clubhouse mögen

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Clubhouse Ralf Rottmann

Johannes Klingebiel, der bei der Süddeutschen Zeitung für Innovation und Research verantwortlich zeichnet, attestiert Clubhouse auf LinkedIn “unappetitliche Klassenlogik” und das “feste Feststecken in der Vergangenheit”. Das wirkt von einer Industrie, deren einzige “Innovation” der letzten 15 Jahre die Paywall war, fast schon latent eifersüchtig.

Die Verbraucherzentrale hat das Unternehmen zügig medienwirksam abgemahnt. Mein Vorschlag an Klaus Müller, den Vorstand des Verbraucherzentralen Bundesverbandes, das Thema offen zu diskutieren, steckt in der kommunikativen Einbahnstrasse fest. Man sendet dort gerne, empfängt aber nicht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Clubhouse muss hinsichtlich Datenschutz dringend nachbessern. Und ein Impressum – zentrale Forderung der hiesigen Verbraucherschützer – wäre wirklich auch nicht schlecht. Dann kann man den Gründern endlich Briefe in die USA schicken. Das Fehlen der bereits angekündigten Android-Version ist auch nicht ideal – Haken dran.

Schade an der auch ein bisschen typisch deutschen Kritik ist ihr Fokus auf das rein Technische.

Clubhouse ist im Kern eine neue Kommunikations-Infrastruktur, die verschiedene Aspekte erstmalig so zusammenführt, dass daraus eine Chance auf etwas Großes entsteht:

Sie ist niederschwellig.
Der Zugang zu Clubhouse ist so einfach, dass er quer durch alle Altersgruppen gut gelingt. Meine älteste Gesprächspartnerin war 78 Jahre und – wartend auf einen Impftermin – heilfroh, dass Clubhouse sie ein bisschen aus der Einsamkeit holt.

Sie lebt im Hier und Jetzt.
Gespräche bei Clubhouse sind immer live. Das erfordert Commitment von Sprecher:innen und Zuhörer:innen. In einer Aufmersamkeitsökonomie, die zunehmend zu scroll- und swipe-baren Staccato-Inhalten sozialisiert, ist das einfach herrlich. Echte Aufmerksamkeit fühlt sich deutlich besser an, als Likes für eine gut gemachte Headline, die schon lange kein Indikator mehr für Relevanz sind.

Sie setzt zu 100% auf Stimme.
Das Miteinander sprechen ist die natürlichste Form menschlicher Kommunikation. Es ist nach wie vor auch die Intensivste. Ich selbst habe in Clubhouse Räumen schon gelacht, geweint, war empört und aufgebracht oder einfach nur gefesselt und fasziniert. Kein text-basiertes Soziales Netzwerk konnte mich in so kurzer Zeit so vielfältig berühren. Interessante Beobachtung an mir selbst: Zunehmend wirken die anderen Kanäle gegen Clubhouse dumpf und hohl. Ihnen fehlt das Menschliche.

Sie ist partizipativ.
In Clubhouse Räumen kann jeder die Hand heben, um einen Beitrag zu leisten. Das erfordert anfänglich durchaus Mut, denn je nach Thema kann es gut sein, dass man Hunderte Zuhörer:innen hat. Es ist dieses partizipative Element, dass den Clubhouse Diskussionen eine anderenorts nie dagewesene Dynamik verleiht. Erlebbare Demokratie ist, wenn eine Nutzerin, die erst seit wenigen Stunden selbst auf der Plattform ist, dem Chef des Bundeskanzleramtes Helge Braun ihre Fragen stellt. Viel näher geht es nicht. In den zunehmende Verlust des Privilegs auf Reichweite zahlt Clubhouse ein und das finde ich per se erstrebenswert.

Sie fördert Authentizität.
Wenn ich bei Clubhouse spreche, bin das immer ich selbst. In text-basierten Sozialen Netzwerken stehen zunehmend ganze Redaktionen hinter einzelnen Personen, um dort professionell weichgespülte, werbewirksame Botschaften zu versenden. In der Natur der Sache liegt, dass das bei Clubhouse nicht funktioniert.

Wer sich gleich aus welchem Grund unkontrollierter Kommunikation nicht stellen mag, bekommt auf Clubhouse nur schwierig eine Stimme. Die Multi-Channel Instagram Konserve hilft dort nicht. Das bereinigt und erhöht für mich indirekt auch die Relevanz der Inhalte. Häufig werde ich gefragt, ob ich glaube, dass Vorstand X bald auch auf Clubhouse sein wird. Das ist für mich gar nicht so zentral. Viel spannender wird es sein, zu beobachten, wer dort nicht aktiv werden wird. Parolen von Bürger- und Kundennähe kann man zurzeit nirgendwo anders so glaubhaft validieren, wie im Clubhouse.


Das Titelbild zu diesem Artikel zeigt einen Raum, zum Thema “Rassismus in der Medizin”. Fast zwei Stunden konnte ich dort als Zuhörer ohne eigene Erfahrungswerte ungefiltert einer Diskussion zwischen Medizinern, Pflegekräften und Patienten mit und ohne Migrationshintergrund folgen. Nur sehr ungerne mag ich mir ausmalen, wie diese Unterhaltung bei Facebook oder Twitter verlaufen wäre.

In “Was ich meinen Hund schon immer fragen wollte…” habe ich die Gelegenheit, mit professionellen Trainern über den Alltag mit unserem Parson Russell zu sprechen.

Mit den “Helden der Nacht” findet sich auf Clubhouse auch eine virtuelle Bar. Ab 22:00 Uhr entdeckt man dort täglich Menschen, mit denen man über die erste große Liebe oder die peinlichste CD sprechen kann. Nina serviert dazu wirklich hervorragend gemixte Drinks.

Die von der Seitenlinie auf rechtliche und technische Aspekte limitierte Einordnung aus dem Elfenbeinturm ist zwar notwendig aber viel zu oft auch kurzsichtig.

Jenseits der Technik und des Datenschutzes bringt Clubhouse die ganze, wunderbare Vielfalt menschlicher Begegnungen auf die Ohren und in den Kopf. Darin liegt eine Kraft, die man erleben muss, um sie zu verstehen.

Eine wirklich gute und ständig wachsende Sammlung zu Clubhouse Themen in deutscher Sprache findet ihr auf allaboutclubhouse.com.

Wir hören uns!

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